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Es ist wichtig, dass wir „den MitarbeiterInnen Lösungen an die Hand geben, die Zeitressourcen schaffen, damit die Zeit bei den BewohnerInnen ankommt“

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Die neue Personalbemessung (PeBeM) beschäftigt die stationäre Pflege aktuell stark. Vor allem im Bereich der Personal- und Organisationsentwicklung sollten Einrichtungen sich frühzeitig neu aufstellen, um die Anforderungen an die PeBeM umzusetzen. Was das neue System für die Pflege bedeutet, wie digitale Lösungen unterstützen, die daraus resultierenden Herausforderungen zu bewerkstelligen und wie die Personaleinsatzplanung der Zukunft aussieht, verrät Michael Wipp im persönlichen Gespräch mit dem MEDIFOX DAN Team.

 

Herr Wipp, Sie beschäftigen sich sehr intensiv mit der neuen Personalbemessung, weswegen Sie auch mit einem Fachvortrag auf dem MEDIFOX DAN Messestand vertreten sein werden. Was bedeutet die neue Personalbemessung für stationäre Einrichtungen in der Zukunft?

Wir haben Jahrzehnte auf ein Personalbemessungssystem in Deutschland gewartet. In der Vergangenheit gab es zwar wiederholt Versuche, aber es wurde nie etwas umgesetzt. Personalbemessung war und ist Länderhoheit und dementsprechend unterschiedlich waren die Ausprägungen qualitativer und quantitativer Art in diesem Punkt. Insofern ist es äußerst bedeutend, dass wir jetzt erstmalig ein System haben, das auch auf wissenschaftlichen Grundlagen basiert. Denn alles, was wir bisher hatten, waren Pflegeschlüssel, die keinerlei Inhalte hatten und einfach weiterentwickelt wurden. Ein solches System, welches fundiert durch Professor Rothgang, sein Team und die Universität Bremen erarbeitet wurde, ist für die Branche ein ganz wichtiges Zeichen. Das bedeutet, dass man in der Professionalität weiter vorankommen möchte.
Die neue Personalbemessung hat Auswirkungen auf zwei Größenebenen, zum einen in der Personalentwicklung und zum anderen in der Organisationsentwicklung. Im Bereich der Personalentwicklung geht es vor allem um die Evaluation, wo das Team aktuell steht. Das betrifft sowohl die Hilfskräfte als auch die Fachkräfte und ob es in Bezug auf die kommende Situation des Qualifikationsmix möglicherweise Nach- oder generell Qualifizierungsbedarf bezüglich der vorbehaltenen Tätigkeiten gibt. Damit die Ziele, die mit der neuen Personalbemessung erreicht und auch umgesetzt werden können, muss man schauen, wo das Team in den nächsten Jahren Unterstützung benötigt. Auf der zweiten Ebene der Organisationsentwicklung betrachten wir die Arbeitsablaufstrukturen. Unser heutiges System, das seit etwa 40 Jahren besteht, beruht auf der Struktur Fach- und Hilfskräfte. Da wir aber künftig im Rahmen des Qualifikationsmix drei Ebenen haben werden, kann nicht alles so belassen werden. Die neuen Anforderungen, die aus der Personalbemessung resultieren, müssen sich auch in den Arbeitsablaufstrukturen wiederfinden. Generell sollte hier geprüft werden, welche Leistungen bei den jeweiligen BewohnerInnen anfallen und von welchen MitarbeiterInnen diese zu welcher Zeit durchgeführt werden. Dann ist man schon ein ganzes Stück weiter und kann evaluieren, wohin die bestehende Arbeit als Organisation weiterentwickelt werden muss. Dahingehend können mit den MitarbeiterInnen und der Führungsebene Überlegungen angestellt werden, inwieweit sich Abläufe in den letzten Jahren bewährt haben und wo vielleicht auch auf Herausforderungen gestoßen wurde. Die Pflegebranche möchte attraktiv für neue MitarbeiterInnen und junge Teams wirken. Insofern ist die neue Personalbemessung eine gute Gelegenheit zur Prüfung der bestehenden Ablaufstrukturen und ob diese noch so attraktiv oder nicht vielleicht schon ein wenig eingestaubt sind – um das mal vorsichtig auszudrücken.
In Bezug auf die bestehenden Fristen zur Umsetzung gibt es jedoch häufig Missverständnisse, denn diese sind weder in § 113c SGB XI, noch in der gemeinsamen Empfehlung festgelegt. Das heißt, die Einrichtungen könnten theoretisch entscheiden, erst einmal gar nichts zu tun, solange die bisherige vertragliche Vereinbarung gut passt und die Fachkraftquote keine Probleme bereitet. Dahingehend kann man in aller Ruhe überlegen, wie mit den ganzen Änderungen umgegangen werden soll. In § 113c Absatz 6 gibt es mit dem 31. Dezember 2025 lediglich eine Frist, die sich ausschließlich auf die Übertragung der zusätzlichen Fach- und Hilfskraftstellen bezieht. Diese Frist wird häufig fehlinterpretiert, sodass davon ausgegangen wird, dass bis dahin alles erledigt sein müsse, was aber nicht stimmt. Jedoch könnte es sein, dass die Bundesländer im Zuge der Rahmenverträge Fristen festsetzen.

 

Wie zahlen digitale und auch KI-gestützte Lösungen darauf ein, die Personalbemessung effizient umzusetzen?

Es wäre natürlich wünschenswert, wenn die Digitalisierung schon so fortgeschritten wäre. Allerdings ist der stationäre Altenpflegebereich bis dato nicht unbedingt Vorreiter der Digitalisierung in Deutschland. Dafür gibt es verschiedene Ursachen. Wenn man über die Ablaufplanungen im stationären Bereich nachdenkt, dann fehlt in ganz vielen Einrichtungen eine stabile Internetverbindung. Wenn die MitarbeiterInnen in der Einrichtung keine konstante Netzverbindung haben, können auch die tollsten Tablets nicht effizient genutzt werden. Im Bereich der stationären Tourenplanung hat sich zwar in den letzten zwei Jahren enorm viel getan, aber wenn man mal an die ambulante Tourenplanung denkt, hat diese im Bereich der Digitalisierung Erfahrung von zehn und mehr Jahren. Da sind die Kinderkrankheiten längst weg und das wird noch ein Punkt sein, wo die Softwareanbieter vor allem im stationären Bereich praxistaugliche Lösungen zeigen müssen. Diese dürfen nicht einfach nur eine Regel abbilden, die immer gleich ist. Der Pflegealltag muss so abgebildet werden, wie er tatsächlich ist: BewohnerInnen kommen ins Krankenhaus, die Fachkraft hat einen Notfall oder es müssen Tätigkeiten zwischen den MitarbeiterInnen verschoben werden. Wenn eine Software das nicht abbilden kann, greifen viele genau an dieser Stelle zur Stecktafel, da diese leicht zu händeln ist. Andere sind der Meinung, dass analoge Lösungen nicht mehr zeitgemäß sind. Ich selbst kenne Pflegedienstleitungen, die ihren MitarbeiterInnen morgens die Tablets hinterhertragen, weil diese im Dienstzimmer liegen bleiben. Ich möchte damit sagen, dass aus meiner Sicht von Softwareanbieterseite der Beleg zu erbringen ist, die Systeme praxistauglich und gleichzeitig praxisnah zu gestalten. Dann werden diese sicher gern verwendet, um letztlich auch Zeitressourcen freizusetzen.

 

Sie sind immer eng im Austausch und bringen Ihr Know-how an verschiedenen Stellen ein. Wie tragen Sie zur Entwicklung solcher Digitallösungen mit Ihrem Wissen bei?

Den Großteil meiner Arbeitszeit verbringe ich in den Einrichtungen und bekomme mit, wo die Problemkonstellationen liegen. Natürlich kommen von den MitarbeiterInnen auch Fragen nach meiner Empfehlung. Meine Antwort an dieser Stelle: Ich will nicht sagen, dass das eine gut und das andere schlecht ist, jedoch stelle ich die Ausgangsbasis der Einrichtung infrage und empfehle, all diese Fragen bei der Überlegung einer Digitalisierung mit den Softwareanbietern miteinzubringen. Man sollte immer die Frage stellen, ob die Software mit kurzfristigen Änderungen umgehen kann oder ob das in der Praxis viel Aufwand bedeutet. Die Praxistauglichkeit ist für mich eigentlich der Punkt schlechthin. Ich denke, dass jeder gerne mit digitalen Systemen arbeiten würde, aber diese müssen auch funktionieren. Ich bin schon sehr gespannt, was ihr auf der diesjährigen Altenpflege-Messe dazu bietet. Ich bin regelmäßig mit Herrn Eschenhorst aus dem Produktmanagement im Austausch und es ist beeindruckend, was gerade im Bereich Künstliche Intelligenz alles möglich ist. Wir besprechen viele Alltagsfragen, die mir die MitarbeiterInnen immer widerspiegeln, um zu sehen, wie man diese in den Dienstplan integrieren kann. Meines Erachtens nach beginnt die stationäre Tourenplanung dort, wo die Dienstplanung aufhört. Diese Vernetzung ist eminent wichtig, denn wenn ein Dienstplan die erforderlichen Qualifikationen nicht abbildet, kann die stationäre Tourenplanung nicht funktionieren. Eine solche Verbindung ist natürlich wesentlich effektiver als die Arbeit mit einem analogen System. Die Entwicklungen in diesem Bereich verfolge ich mit großem Interesse. Ich kann natürlich nicht sagen, dass andere Anbieter diesbezüglich nicht genauso viel machen, aber da fehlt mir der Einblick. Von MEDIFOX DAN weiß ich durch die enge Zusammenarbeit deutlich mehr. Ich werde immer intensiv in die Gespräche miteingebunden und finde es äußerst wichtig, dass wir den MitarbeiterInnen in den Einrichtungen Lösungen an die Hand geben. Diese sollen Zeitressourcen schaffen, damit die Zeit bei den BewohnerInnen ankommt und nicht in handschriftliche Ausarbeitungen investiert wird. Es ist schön zu sehen, dass die Entwicklung hier in großen Schritten vorangeht. Ich habe kürzlich in einer Einrichtung gesagt, dass in zwei Jahren kein Dienstplan mehr erstellt wird, wie wir das heutzutage tun und davon bin ich überzeugt. Ich bin mir sicher, dass die Entwicklung in die richtige Richtung geht, allerdings unter einer Einschränkung: Ich erlebe häufig, dass manche Erwartungen an Künstliche Intelligenz in Bezug auf die Dienstplanung daran scheitern werden, wenn jemand die Grundlagen nicht verstanden hat. Das ist eine Voraussetzung und leider erlebe ich häufig, dass gerade dort die Nachfrage groß ist, wo Basiswissen fehlt. Das sind oft banale Alltagsfragen wie z. B. Nettoarbeitszeiten oder wie es zur Besetzung der Dienste kommt, die aber existenziell wichtig für die Organisation der Arbeitsabläufe sind. Da bin ich wirklich froh, dass sich da so viel tut. Ich gehöre ja noch zu denen, die handschriftlich in der Dienstplanung begonnen haben – und jeder, der das mal gemacht hat, weiß, was das bedeutet.

 

Aktuell wird in stationären Einrichtungen zunächst ein Dienstplan erstellt. Auf Grundlage dessen werden im Anschluss die Touren bzw. Einsätze verteilt. Wie sieht der Planungsprozess in Zukunft aus, sind hier Änderungen im Arbeitsablauf zu erwarten?

Mit der neuen Personalbemessung wird der Prozess so sein, dass es Personalschlüssel bzw. Personalanhaltswerte gibt, die sich nach den Pflegegraden richten und aus denen sich die Besetzung in Früh- und Spätschicht ableitet. Die Automatisierung dieses Prozesses bilden die meisten Dienstplanprogramme noch nicht wirklich ab. Das beginnt bei der Einstufung des Pflegegrades der BewohnerInnen über die Ausfallzeiten bis hin zur Berücksichtigung der Besetzung der Dienste. Aus meiner Sicht ist die Pflegegradstruktur der BewohnerInnen immer ein großes Manko. Diese bestimmt die Besetzung im Dienstplan – nichts anderes! Wenn ein Großteil der BewohnerInnen einen Pflegegrad zwischen eins und drei hat, sind das oftmals aktive BewohnerInnen, die gewisse Erwartungen haben, aber für deren Leistungsanforderungen der Schlüssel nicht ausreichen wird. Deswegen ist es wichtig zu schauen, wie die erbrachten Leistungen bei den BewohnerInnen zum Pflegegrad und der daraus resultierenden Pflegezeit passen. Oftmals werden teure Softwareprogramme gekauft, in der Praxis aber dennoch aufwendige Exceltabellen gebaut. Dabei könnten digitale Lösungen enorm helfen. Die Möglichkeiten der Software werden nicht immer ausreichend genutzt. Wenn die MitarbeiterInnen gefragt werden, was bei einem Dienstplan wichtig ist, dann ist das die Häufigkeit der Wochenenddienste, Einspringen, geteilte Dienste, Anzahl der aufeinanderfolgenden Arbeitstage und die Anzahl der freien Tage. Diese Punkte bilden ganz viel ab. Leider fehlt bei vielen Dienstplanprogrammen die Möglichkeit einer Ergebniskontrolle zur Überprüfung der Verteilung dieser Punkte, damit eine faire Aufteilung gewährleistet werden kann. Daher wird dies meistens über Excel abgebildet, um den MitarbeiterInnen etwas an die Hand zu geben und die Mitarbeiterzufriedenheit nachhaltig zu steigern. Ich denke, da benötigt man nicht mal Künstliche Intelligenz, da reicht schon das Wissen, wo man diese Daten aus dem Programm herbekommt. Vielleicht wäre die Messe ja eine Möglichkeit, sowas mal zu zeigen (lacht).

 

Unsere BesucherInnen können auf jeden Fall gespannt sein. Gerade bei einem komplexen Thema wie der PeBeM müssen viele Faktoren bei der Umsetzung berücksichtigt werden: Inwieweit spielt der Interventionskatalog aus der Rothgang-Studie zukünftig für die Einrichtungen eine Rolle?

Der Interventionskatalog ist als Vorbereitung der Studie erstellt worden, da man eine einheitliche Bewertungsbasis benötigt hat, um die MitarbeiterInnen in den 62 vollstationären Einrichtungen bei 1380 BewohnerInnen zu begleiten. So sollte auf einheitlicher Basis geschaut werden, ob die Leistungen erbracht werden konnten oder nicht. Zum jetzigen Zeitpunkt ist der Interventionskatalog zum einen eine Fundgrube von eminent guten Ausarbeitungen. Da habe ich größten Respekt vor, was da an Arbeit und Fachwissen hinter steckt. Im Rahmen der Pflegedokumentation kann der Interventionskatalog sicherlich perspektivisch helfen, indem man schaut, welche Interventionen in der Regel an welches Qualifikationsniveau gebunden sind. Die Annahme, den Interventionskatalog beim Einzug künftiger BewohnerInnen heranziehen zu müssen, ist faktisch nicht korrekt. Anderenfalls bräuchten wir keine Rahmenverträge auf Landesebene, in denen die Schlüssel und Qualifikationsniveaus festgelegt sind.

 

Nun hat Professor Rothgang eine Folgestudie genehmig bekommen, um die Maßnahmen in der Praxis zu evaluieren. Denken Sie, dass an manchen Stellen noch einmal nachjustiert werden muss und gibt es eventuell noch Verbesserungspotenzial?

Das wird auf jeden Fall kommen. Professor Rothgang selbst ist der Meinung, dass dieses System weiterentwickelt werden muss und nennt es bewusst Algorithmus 1.0. Ich denke, man muss mit etwas beginnen, bevor man die Praxistauglichkeit eines solchen Systems bemängelt, denn dieses lebt von der Umsetzung und den Erkenntnissen, die sich daraus ergeben. Ich finde es gut, dass sich das weiterentwickelt und das muss es meines Erachtens auch. Wir alle entwickeln uns weiter, das Leben geht weiter und da kann man nicht sagen, wir haben jetzt eine Personalbemessung erarbeitet und die ist jetzt erstmal für die nächsten 20 Jahre gut. Das wäre ja schlimm oder (lacht)?

 

Vielen Dank Herr Wipp für die spannenden Einblicke in die neue Personalbemessung und was uns in der kommenden Zeit erwartet. Wir freuen uns auf die weitere Zusammenarbeit mit Ihnen und blicken schon gespannt in Richtung Altenpflege-Messe 2023 in Nürnberg.

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