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PflegeFaktisch mit Francesca

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Expertenstandard „Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz“

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Die praktische Umsetzung von Expertenstandards stellt oft eine Herausforderung im pflegerischen Alltag dar: Immer wieder müssen sich Pflegekräfte mit komplexen Fachthemen auseinandersetzen und versuchen, diese praxistauglich in ihrem Pflegealltag zu implementieren. Der Expertenstandard „Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz“ stellt Pflegeeinrichtungen vor ganz neue Herausforderungen.

Warum der Expertenstandard „Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz“ so wichtig ist und wie Einrichtungen diesen erfolgreich umsetzen können, erklärt mir Maria Liehr in unserer gemeinsamen Podcast-Folge.

„Demenz ist ein Thema, welches das ganze Land bewegt!“

Maria Liehr bringt als examinierte Altenpflegerin und gerontopsychiatrische Fachkraft langjährige Erfahrung in der Pflege von demenzerkrankten Menschen mit. Oft melden sich Betreuende oder Angehörige aufgrund von demenzbedingten Verhalten der betroffenen Person und wissen nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollen. Das Problem: Gerade beim Thema Demenz ist sehr viel Fachwissen gefragt und die Zahl der erkrankten Menschen steigt immer weiter! Mit dem Expertenstandard „Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz“ soll die Lebensqualität von an Demenz erkrankten Menschen nun nachhaltig verbessert werden.

Was bedeutet „Beziehungsgestaltung“?

Das Wort „Beziehung“ ist vielschichtig. Für Maria Liehr geht es im Kern darum, mit einem anderen Menschen aktiv und mit „dem ganzen Sein“ in Kontakt zu treten. Oft verbinden wir damit Worte, beispielsweise in Form von Nachfragen zum Wohlbefinden. Bei Demenzerkrankten gestaltet sich die Kommunikation jedoch häufig schwer, da Reaktionen für Pflegekräfte nicht immer vorhersehbar sind. „Wenn ich eine Reaktion bekomme, mit der ich gar nicht rechne, dann reagiert der Mensch wahrscheinlich mehr auf meine Körpersprache, meine Stimme und auf meine Grundhaltung, als auf die Worte, die ich sage“, erklärt Maria Liehr, „gleichzeitig ist es natürlich so, dass wir davon ausgehen, dass der Mensch mit Demenz auch seine Erfahrungen von früher aufarbeitet und dort eben auch Gefühle entstehen, die lange Zeit nicht gelebt werden konnten. Das können auch Reaktionen sein, wo ich völlig ratlos und sprachlos bin.“ Für sie steht daher fest: „Die Beziehungsgestaltung ist nicht nur eine pflegerische Tätigkeit, sondern geht darüber hinaus. Das stellt uns Pflegekräfte in noch nie dagewesener Weise auf den Prüfstand.“

Es gibt in der Theorie einige Ansätze zur Beziehungsgestaltung in der Pflege. Eine der Bekanntesten wurde von Tom Kitwood entwickelt, der den Begriff „personenzentrierte Pflege“ nachhaltig prägte. „Wenn man die Theorie auf das Einfachste runterbricht, dann sagt er, dass man seine Mitmenschen so behandeln soll, wie man selbst behandelt werden möchte“, erklärt Maria Liehr, „das kann ich natürlich auch auf einen Menschen mit Demenz übertragen.“ Doch was sich in der Theorie einfach anhört, ist für Pflegekräfte nicht immer direkt umsetzbar. Wie also kann die Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz in der Praxis aussehen?

„Menschsein hat nicht nur etwas mit Kognition zu tun, es macht viel mehr aus“

Die Sichtweise in der Pflege war lange Zeit stark defizitorientiert. Wenn eine an Demenz erkrankte Person beispielsweise unruhig ist, wird demnach an erster Stelle nach einer Lösung für die Unruhe gesucht. Im Gegensatz dazu steht im Rahmen der personenzentrierten Pflege vor allem der Mensch im Mittelpunkt. Es geht darum zu versuchen, den Blickwinkel der betroffenen Person einzunehmen und zu verstehen, warum sich der Mensch so fühlt. Gerade für Menschen mit Demenz sei das Verständnis essentiell für die Beziehungsgestaltung: „Betroffene brauchen ein Gegenüber, um sich selbst zu spüren und erkannt zu werden“, erläutert Maria Liehr, „wenn ich erkenne, dass die betroffene Person unruhig ist, weil sie Sicherheit und Vertrauen braucht, dann kann ich mit ihr über dieses Gefühl auf Augenhöhe kommunizieren. Denn auch wenn ich kognitiv eingeschränkt bin, kann ich durch meine Gefühle oder Erfahrungen trotzdem Mensch sein.“

Umsetzung des Expertenstandards in der Praxis: Tipps & Tricks 

„Es gibt keine Patentlösung“

Die Umsetzung des Expertenstandards ist eine große Herausforderung für Pflegeeinrichtungen, denn es gibt keine Checkliste, an der man sich orientieren kann. Maßnahmen müssen daher individuell betrachtet werden: „Es kann sein, dass eine Maßnahme bei der einen Pflegekraft wunderbar funktioniert und bei einer anderen nicht. Es gibt hier keine Patentlösung“, sagt Maria Liehr, „ich bin immer auf der Suche. Wichtig ist vor allem, dass das Wissen bei der Pflegekraft ankommt.“ Ihr Tipp: „Auch wenn nicht alle Maßnahmen jederzeit und unter allen Umständen funktionieren, ist eine empathische Haltung gegenüber der betroffenen Person immer das Richtige.“

„Einfach mal bei einer Person anfangen“

Oft gehen mit der Implementierung neuer Expertenstandards viele Veränderungen einher, die unter anderem auch personelle und zeitliche Ressourcen erfordern. Häufig stellen sich viele die Frage: Wo sollen wir anfangen? Maria Liehr empfiehlt daher, den Expertenstandard „Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz“ zu Beginn an einer ausgewählten Person durchzugehen: „Ich nehme mir einfach mal eine Person aus meinem Wohnbereich. Was hat der Mensch für Vorlieben oder Abneigungen? Welche Erfahrungen habe ich mit dieser Person gemacht? Wenn ich mich jetzt in den Menschen reinversetze, was erlebe ich?“ Auf diese Weise könne man lernen, den Menschen besser zu verstehen. „Viele fühlen sich von dem Verhalten angegriffen, auch wenn wir eigentlich wissen, dass die betroffene Person nichts dafürkann. Wenn ich verstehe, warum der Mensch so fühlt, kann ich die Situation besser reflektieren“, erläutert sie.

„Der Umsetzungsprozess findet im Team statt“

Für Maria Liehr steht fest: Die Entwicklung von Maßnahmen findet nicht von einer Person im Hinterzimmer, sondern gemeinsam im Team statt! Das kann im Rahmen von Schulungen, aber auch in Dienstbesprechungen sein, in denen man sich offen austauscht. Je nachdem wie viele Ressourcen einer Einrichtung zur Verfügung stehen, sollten Schulungen nach Möglichkeit regelmäßig durchgeführt werden.

„Es ist kein klassischer Standard, es gibt keine konkrete Kennzahl“

Der Expertenstandard „Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz“ unterscheidet sich insbesondere dahingehend, dass es keine konkrete Kennzahl gibt, anhand derer man die Wirksamkeit der Maßnahmen messbar machen kann. Doch wie kann ich sehen, dass die Maßnahmen greifen? Maria Liehr kennt die Antwort: „Das kann ich nur durch die Beobachtung des Menschen mit Demenz. Früher haben wir immer viel von Wohlbefinden gesprochen. Aber wie stellt man fest, dass es der Person gut geht? Der Expertenstandard gibt Kriterien vor – angefangen bei den Aussagen, die zu betreuende Personen tätigen, bis hin zu Aktivität, Interaktivität, Ernährung, Schlafverhalten oder Unruhe. Das alles kann und sollte ich im Pflegebericht dokumentieren!“

Am Ende unseres Gesprächs möchte sie allen Pflegekräften noch einen wichtigen Tipp mit auf den Weg geben: „Viele Pflegekräfte leiden darunter, dass sie den Menschen nicht immer helfen können. Es gibt Höhen und Tiefen. (…) Ein Mensch mit Demenz ist auf seinem letzten Lebensweg – gut muss daher nicht heißen, dass immer alles bestens ist. Ich bin als Pflegekraft nicht dafür verantwortlich, dass die Menschen rund um die Uhr glücklich sind. Ich tue, was ich kann, aber ich kann die Menschen nicht immer glücklich machen.“

Ihr wollt noch mehr über den Expertenstandard „Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz“ erfahren? Die Podcast-Folge mit Maria Liehr findet ihr hier.

In diesem Sinne - einfach Podcast hören! Ich freu mich auf Euch.

Eure Francesca


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