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Akteure, Prozesse, Technologie – die Chancen und Herausforderungen der Telematikinfrastruktur
Bis zum 01. Juli 2025 müssen Pflegedienste und Einrichtungen an die Telematikinfrastruktur angeschlossen sein. Der ASB Baden-Württemberg e.V. ist den ersten Schritt bereits gegangen und konnte das KIM-Verfahren für eine sichere Kommunikation als eine der ersten TI-Fachanwendungen im Modellprojekt schon heute erproben. Nicole Hauschild, Leitung Soziale Dienste und QM, spricht mit uns über ihre Erfahrungen sowie erste Herausforderungen, die ihr und ihrem Team bei der Anbindung an die TI begegnet sind und verrät uns wertvolle Tipps für einen reibungslosen Start.
Frau Hauschild, in Sachen Telematikinfrastruktur sind Sie ein Early Adopter, denn als Teilnehmerin des TI-Modellprogramms, das vom GKV-Spitzenverband initiiert wurde, konnten Sie die Fachanwendung KIM bereits testen. Welche Erfahrungen haben Sie im Modellprogramm gemacht und welche Learnings konnten Sie für sich mitnehmen?
Nicole Hauschild: Wir beim ASB hatten großes Interesse daran, am Modellprogramm teilzunehmen, da wir bis zum 01. Juli 2025 knapp 120 Pflegeeinrichtungen an die TI anbinden müssen. Für uns war das eine wertvolle Möglichkeit, um schon heute erste praktische Erfahrungen zu sammeln. Gleichzeitig konnten wir aber auch feststellen, dass die Einführung viele personelle und zeitliche Ressourcen in Anspruch nimmt. Das Modellprogramm hat uns unter anderem geholfen, die Funktionsweise der Telematikinfrastruktur sowohl in der Theorie als auch in der Praxis besser zu verstehen. Wir haben uns so auch mit den notwendigen Antragsprozessen auseinandergesetzt wie zum Beispiel für die SMC-B und den eHBA. Dieser Prozess war langwierig, denn die Identifizierung und Verifizierung der Ausweiskarten ist sehr zeitaufwendig, aber auch das haben wir bewältigt.
Eine der größten Herausforderungen war tatsächlich die technische Komplexität - von der Auswahl der Komponenten, die Installation, die Wartungen, sowie die Schnittstellen zu anderen IT-Systemen, gerade auch zu Primärherstellern. Wir haben zudem die Erfahrung gemacht, dass viele Mitarbeitende die TI noch nicht richtig akzeptieren, da sie dem Prozess aufgrund zusätzlicher Aufgaben und dem Schulungsaufwand noch skeptisch gegenüberstehen. Der Qualitätsbeauftragte der Einrichtung steht technischen Innovationen jedoch sehr positiv gegenüber und hat diese Einstellung auch in die Einrichtungen transportiert, damit das Modellprojekt gut verläuft.
Wie würden Sie die Umsetzungstiefe Ihrer TI-Integration aktuell beschreiben und wo stehen Sie in den Kommunikationsprozessen, beispielsweise mit Apotheken und ÄrztInnen?
Nicole Hauschild: Das ist eine sehr spannende Frage. Die Anbindung unserer Einrichtung an die Telematikinfrastruktur ist vollständig abgeschlossen. Allerdings liegt eine große Herausforderung darin, dass noch nicht alle Arztpraxen und Apotheken die TI aktiv nutzen, weshalb wir KIM im täglichen Betrieb bisher nicht vollständig zur Kommunikation einsetzen. Die Arztpraxen und Apotheken sind zwar angebunden, aber wollen KIM nicht vollumfänglich nutzen. Daher werden die anderen Kommunikationswege weiterhin genutzt, wie zum Beispiel das gute alte Faxgerät. Aber auch an anderen Stellen ist die Akzeptanz noch begrenzt, zum Beispiel in den Krankhäusern, die uns noch heute Überleitungsbögen zusenden. Zusammenfassend kann man sagen, dass wir auf einem guten Weg sind, was die vollständige Integration der TI in unserer Einrichtung angeht, aber es gibt noch Optimierungspotenzial, insbesondere bei der einheitlichen Nutzung aller beteiligten Akteure.
Der GKV-Spitzenverband steht den Einrichtungen und Pflegediensten mit seinem Leitfaden zur TI-Integration als Ratgeber zur Seite. Welchen Rat würden Sie anderen mit an die Hand geben, wenn diese die Anbindung an die TI angehen wollen?
Nicole Hauschild: Die Frage, wie wir starten sollen, haben wir uns zu Beginn des Modellprogramms auch gestellt, denn damals gab es keine richtige Hilfestellung. Ich finde, dass der Leitfaden den Einrichtungen eine wichtige Orientierungshilfe bietet, aber man muss noch sehr viel mehr beachten. Ich habe mir darüber Gedanken gemacht und praktische Tipps, die den Einstieg vielleicht erleichtern. Beim ASB war es uns wichtig, frühzeitig ein Planungs- und Ressourcenmanagement zu haben. Es muss genügend Zeit für die Vorbereitung und Implementierung der TI geben und dafür müssen ausreichend personelle und auch finanzielle Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Es gibt zwar eine Refinanzierung, jedoch muss man als Pflegeeinrichtung oder Verband erst einmal in Vorleistung gehen.
Damit sich das Team auf die anstehenden Veränderungen vorbereiten kann, sollten Einrichtungs-, Pflegedienst-, und Wohnbereichsleitung frühzeitig miteinbezogen werden und ihre Mitarbeitenden informieren. Wir haben dafür 30-minütige Online-Informationsveranstaltungen angeboten. Auch die technische Infrastruktur muss vorbereitet werden, bevor man mit der eigentlichen Einführung der TI beginnt. Es sollte geprüft werden, wie die bestehende IT-Infrastruktur aufgebaut und ob diese mit den TI-Komponenten kompatibel ist. Die Pflegesoftware, Internetanbindung, und die Kartenlesegeräte sollten alle zusammenpassen. Der dritte Schritt ist dann die Auswahl der Komponenten und die Antragsstellung der SMC-B und des eHBAs. Besonders die Komponenten und die Beantragungen der Karten sollten rechtzeitig erfolgen.
Alle Einrichtungen in Deutschland müssen bis zum 01. Juli 2025 an die TI angeschlossen sein. Die Nachfrage ist heute noch zurückhaltend, aber ich denke, dass das Interesse der Einrichtungen stark ansteigen wird. Im Moment beträgt die Wartezeit für die Komponenten etwa 6-12 Wochen, dies könnte sich jedoch bald um einiges verlängern, gerade wenn man sich für einen der größeren Anbieter entscheidet. Hier ist wichtig zu betonen, dass erst der eHBA vorliegen muss, bevor man dann die SMC-B beantragen kann. Im letzten Schritt muss man die Anbindung vor Ort vorbereiten. Auch hier ist ein enger Austausch mit den IT-Dienstleistern und den Herstellern der TI-Systeme hilfreich, damit vor Ort alles reibungslos funktioniert. Die IT-Dienstleister haben auch nur gewisse personelle und zeitliche Kapazitäten, das sollte beachtet und miteingeplant werden. Abschließend will der Start gut vorbereitet sein und systematisch durchgeführt werden. Dazu gehört eine sorgfältige Planung, Schulung des Personals und eine enge Zusammenarbeit mit den technischen Dienstleistern. Ich glaube das ist der Schlüssel zum Erfolg.
Was braucht es intern, um das Thema TI ganz oben auf die Agenda zu setzen und welche Anreize sollten darüber hinaus geschaffen werden?
Nicole Hauschild: In der Pflege stehen eigentlich ganz andere Themen ganz oben auf der Agenda. Nichtsdestotrotz muss man den Mehrwert, den die Telematikinfrastruktur zukünftig mit sich bringt, verdeutlichen. Vielen ist nicht bewusst, dass sie einen verbesserten Informationsaustausch mit sich bringt und auch die Zusammenarbeit mit allen Akteuren im Gesundheitswesen erleichtern wird. Die TI ermöglicht uns einen digitalen Austausch von Gesundheitsdaten zwischen Pflegeeinrichtungen, ÄrztInnen, Apotheken und Kliniken, und zwar so schnell, dass wir immer up-to-date sind. Perspektivisch würde ich es sehr begrüßen, wenn auch die elektronische Patientenakte oder der elektronische Medikationsplan per KIM funktionieren, um noch schneller mit HausärztInnen zu agieren. Bisher müssen diese erst zur Visite kommen und ein Rezept ausstellen. Ein weiterer Mehrwert ist die Reduzierung von Bürokratie und Papier. Ich weiß, die Pflege mag Faxgeräte und es wird sehr schwer, diese vollständig loszuwerden, aber es ist der richtige Weg. In anderen Bereichen, wie beispielsweise der Industrie, ist die Digitalisierung schon viel weiter vorangeschritten als in der Pflege und ich glaube das muss allen Beteiligten noch einmal aufgezeigt werden.
Welchen Mehrwert bietet Ihnen die Nutzung von KIM schon heute im Pflegealltag?
Nicole Hauschild: Wie bereits erwähnt nutzen wir KIM momentan nur eingeschränkt, konnten aber schon einige Vorteile feststellen. KIM ermöglicht es uns, sensible medizinische Daten sicher und datenschutzkonform zu versenden, was im Vergleich zu herkömmlichen Kommunikationswegen eine wesentliche Zeitersparnis ist. Wir sehen auch, dass KIM für uns bereits ein Grundstein für die zukünftigen digitalen Prozesse ist. Es bietet uns schon jetzt die Möglichkeit, die Kommunikationswege nach und nach digitaler und sicherer zu gestalten und uns schneller mit anderen Akteuren auszutauschen. Ein weiterer Mehrwert ist, dass wir viel breiter mit den Akteuren kommunizieren können und schneller an die Daten kommen – besonders an die Daten, die zukünftig in der elektronischen Patientenakte gespeichert sind. Das Potenzial ist auf jeden Fall da und es ist vielversprechend. Die Zeit landet so wieder bei den Pflegenden und das ist der Mehrwert, den wir benötigen.
Welchen Zeithorizont benötigt eine umsetzende Einrichtung, um die internen Prozesse auf KIM umzustellen und welche waren bei Ihnen notwendig?
Nicole Hauschild: Das Modellprogramm ging jetzt einige Jahre und wir nutzen KIM noch nicht komplett. Die Umstellung hängt von verschiedenen Faktoren ab: Wie groß ist meine Einrichtung? Wie sind die Gegebenheiten vor Ort? Was habe ich für verfügbare Ressourcen? Wie sind die bestehenden IT-Strukturen? Ich denke, ein realistischer Zeithorizont sind sechs bis zwölf Monate.
Welche Anwendungsfälle sehen Sie in Zukunft für die Pflege in der TI-Umgebung und was wünschen Sie sich?
Nicole Hauschild: Ich wünsche mir, dass sowohl Effizienz der Abläufe als auch die Qualität der Pflegeleistungen durch die TI gesteigert wird. Zudem wünsche ich mir, dass wir durch die elektronische Patientenakte schneller an die Informationen unserer KlientInnen gelangen. Auch den Einsatz von KI finde ich sehr spannend, um beispielsweise Daten aus der elektronischen Patientenakte zu analysieren und individuelle Pflegeempfehlungen zu geben oder Risiken zu erkennen. Das hat auch einen Mehrwert für die Pflegequalität und wäre eine Erleichterung für die Pflegenden vor Ort.
Was können wir als Softwaredienstleister tun?
Nicole Hauschild: Wir sind mit 41 stationären Pflegeeinrichtungen mit der MEDIFOX DAN Software angebunden. Sie als Softwareanbieter haben die Möglichkeit dafür zu sorgen, dass die Lösung benutzerfreundlich ist und das haben Sie auch geschafft. Dazu gehören auch umfassende Schulungen, technischer Support, regelmäßige Updates und Weiterentwicklungen sowie eine proaktive Zusammenarbeit während der ganzen Implementierung. Für die Zukunft würde ich mir wünschen, dass AnwenderInnen noch stärker einbezogen werden. Ich glaube das ist ein guter Weg, um die TI optimal nutzen zu können und dadurch mehr Zeit für die direkte Pflege zu schaffen.
Vielen Dank Frau Hauschild für die spannenden Einblicke in Ihre Teilnahme am Modellprojekt und für das Teilen der Erfahrungen, die Sie bei der Anbindung an die Telematikinfrastruktur gemacht haben. Wir freuen uns, Sie auf diesem Weg weiterhin begleiten zu dürfen.
Über den ASB Baden-Württemberg e.V.
Der Arbeiter Samariter-Bund Baden-Württemberg e.V. (ASB) hat 20 ASB-Regionen und beschäftigt rund 9.125 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Der Verein ist Dienstleistungsunternehmen, Hilfsorganisation und Wohlfahrtsverband. Er betreibt 24 ambulante Pflegedienste mit 4.791 Kunden, 23 teilstationäre und 74 stationäre Pflegeeinrichtungen mit jeweils 309 Gästen und 4.456 Pflegeplätzen sowie 61 Betreute Wohnanlagen mit 2.341 Wohnungen. Zum weiteren Leistungsspektrum gehören Aufgaben im Rettungs- und Sanitätsdienst, im Bevölkerungsschutz, in der Behindertenarbeit, der Kinder- und Jugendhilfe sowie der Jugendarbeit.
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